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ein „neuer Blick” auf Frontaldarstellungen
Wer sich dagegen die antike Sehtheorie aneignet, dem eröffnet sich ein neues Verständnis für frontale
Münzbilder. Wenn Sehstrahlen aus den Augen heraustraten, wird es verständlich, dass mit dem Stilmittel
der aus dem Münzbild herausschauenden Augen äußerst bedachtsam umgegangen wurde und beileibe
nicht alle Darstellungsobjekte auf diese Art wiedergegeben werden konnten (oder durften): Der antiken
Literatur lässt sich entnehmen, dass Bilder (seien es Statuen, Gemälde oder eben Münzbilder) nicht als
bloße Ab-Bilder des Dargestellten angesehen wurden, sondern, dass sie das Dargestellte weitgehend ver-
körperten, also mindestens als dessen Repräsentanz aufzufassen sind. Insofern eignet der klassisch-grie-
chischen Kunst eine gewisse Scheu vor der wirkmächtigen Frontaldarstellung, die bis hin zur Tabuisierung
gewisser Darstellungssujets reichen kann.
Zugleich zeichnen sich deutliche Prävalenzen ab, welche Gottheiten, Tiere und Numina bevorzugt so
dargestellt wurden, dass ihre Augen gut erkennbar waren. Die aufwändig erstellten Bildtafeln, die Sie ab S.
143 finden, lassen diese klar erkennen: Dargestellt werden dort die frontalen Darstellungen, sortiert nach
Gegenstand und frühestem Vorkommen. Löwen und Gorgoneia sind also die ersten (und häufigsten!)
Frontaldarstellungen, gefolgt von Gottheiten wie Apollon, dionysischen Gestalten sowie Flussgöttern
und Nymphen.
Diese Zusammenschau, die sich in weiten Teilen mit Baldwins Aufsatz (der die Gorgoneia aber nicht
berücksichtigte) und der Monographie von Erhart deckt, ermöglicht auch eine erste Kategorienbildung.
Bevorzugt frontal dargestellt werden: Dämonische Wesen (bspw. Gorgo, Löwen, Bes, Sphinx), licht-
gottheiten (Apollon und sein Löwe; Artemis, Helios, Astarte), ekstatische gottheiten und Wesen
(Dionysos, Silen, Pan, Nymphen), besonders starke Gottheiten und Naturwesen (Herakles, Flussgötter,
Stiere) sowie besonders charismatische Wesen (Kaiser, Christus). Hinzu kommt eine Kategorie, die in
den Altertumswissenschaften lange Zeit sehr hoch im Kurs stand, heute aber etwas in Vergessenheit ge-
raten ist: die chthonischen Gottheiten und Wesen, also solche, die als der Erde entsprungen vorgestellt
werden und in denen sich das Animistische des griechischen Mythos besonders deutlich zeigt. Hierzu
zählen Demeter, Persephone, Poseidon, aber auch Heroen wie Hektor und die Dioskuren. Auch Hermes
kann, wenn er mit der Unterwelt in Verbindung steht, als chthonisch aufgefasst werden, ebenso wie an-
dere olympische Gottheiten.
Erstaunlicherweise treten die letzteren, obwohl doch Zeus seine „feurigen” Augen an seine Nachkommen
vererbt hatte, nicht durch vermehrte Frontaldarstellungen hervor, auch wenn, mit Ausnahme des He-
phaistos und der Hestia (ohnehin selten auf Münzen vorkommend), alle Olympier vertreten sind. Dem
mag eine gewisse Ehrfurcht vor der Wirkmächtigkeit der höchsten Gottheiten zugrunde liegen – ver-
gleichbar damit, dass auch der (römische) Kaiser erst ab dem 4. Jhdt. vermehrt de face gezeigt wird. Wenn
die Olympier dann doch de face gezeigt werden, was besonders häufig bei Athena und Zeus vorkommt,
so dürfte hierbei ein besonderer Aspekt transportiert werden, der im Falle des Zeus vielleicht auch im
Chthonischen zu suchen ist, wie die Widderhörner des Zeus Ammon andeuten, als der Zeus mehrfach
frontal dargestellt wird.
narrative aspekte frontaler Münzbilder
Neben diesen „intrinsischen” Aspekten, also solchen, die vom Wesen des Darstellungsobjekts vorgegeben
sind, lassen sich weitere Motive ausmachen, die die „Münzdesigner” (nicht etwa eigenwillige Stempel-
schneider) dazu veranlassten, die Frontalansicht zu wählen.
So erkannte bereits Hoernes in der klassischen Vasenmalerei die folgenden erzählerischen Motive für
Frontaldarstellungen, die sich auch auf Münzen ausmachen lassen:
a) Tote und Sterbende (z. B. Nr. 1415)
b) Physisch Beladene oder sonst angestrengt Tätige (z. B. Nrn. 1024, 1026, 1405-1406)
c) Seelisch Beladene und innerlich Bewegte (bspw. SeherInnen; Pietas)
d) Gefahrbedrohte/Fliehende (z. B. Nr. 1410, 1419)
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