Page 40 - BussoPeus A437
P. 40
GrieCHiSCHe Münzen
2:1
16 16
16 Tetradrachme „neuen Stils“ 88/85 v. Chr., Exilprägung im Namen des Demos. Kopf der Athena mit Pegasos-
helm / Eule auf Amphora, rechts Mann mit in der Rechten schwingendem Schwert, mit der Linken die Schwert-
scheide haltend. 12h. HGC 1780; Thompson 136 b. 16, 6 g; 30 mm. Äußerst selten, feine Tönung Sehr schön .000,--
Ex Auktion Bertolami 10 , 2021, 938.
In die unruhigen Jahre vor und nach der Eroberung Athens durch Sulla am 1. März 86 gehört eine rätselhafte Prägung von Tetradrachmen im
„Neuen Stil“, von der heute gerade einmal 12 Exemplare, aufgeteilt in drei Varianten, bekannt sind. Sie nennt statt der üblichen Münzmagistrate
den Demos als Garant der Qualität. Die Auftraggeber beanspruchen also, den Demos, das Volk, zu vertreten. Die Gestaltung des Hauptes
der Athena Parthenos auf dem Avers ist ungewöhnlich. Sie weicht vielfach vom Bild der Tetradrachmen des Neuen Stils ab. Besonders
auffällig: Der Stirnbügel ist deutlich gebogen und trägt nur drei statt der sonst mindestens vier Protome. Die Augen sind auf Oberlid und
Unterlid reduziert. Der Augapfel fehlt. Auf dem Revers mit Eule auf querliegender Panathenäenamphore sind neben dem Ethnikon AQE
die üblichen Münzmagistrate durch die Legende O DEMOS ersetzt, durch die Gesamtheit der Bürger Athens. Sie wird von der ein Schwert
schwingenden Gestalt begleitet. Für ihre Identifizierung wurden Harmodios, einer der Tyrannenmörder, Perseus, Theseus oder Demos
persönlich vorgeschlagen. Wir möchten uns hier für die Identifizierung der Gestalt als Theseus aussprechen, dessen Mythos langsam im 6.
Jhdt. entstand: Theseus ist, wie Plutarch den Lokalhistorikern aufmerksam folgend berichtet, der Gründervater Athens. Er hält das Schwert
seines Vaters in der Hand, sein Erkennungszeichen. An seiner linken Seite hält er die Scheide in gleicher Weise wie auf einer der vielen attischen
Vasendarstellungen, die ihn zeigen. Sein Vater Aigeus, König von Attika, hatte sein Schwert und seine Sandalen bei Troizen unter einem Felsen
verborgen und die frisch geschwängerte Mutter beauftragt, bevor er sie verließ, den Sohn nach Athen zu schicken, wenn er stark genug sei,
den Felsen zu heben. Theseus war es, der durch einen Synoikismos, die Zusammenführung aller Siedlungen Attikas, den athenischen Demos
schuf. Die Größe der Superpolis mit den gut 2.500 Quadratkilometern der Halbinsel Attika und die gewaltige Zahl von ca. 30.000 bis 60.000
männlichen Bürgern und ca. 300.000 Einwohnern mit Frauen, Kindern, Metöken ohne Bürgerrecht und Sklaven waren für lange Jahrhunderte
Grundlage der Macht Athens. Seit der Mitte des 4. Jhdts. sieht man in Theseus auch den Begründer der Demokratie. Ihn feiern in den Theseia
Wettspiele der Epheben und Opfer zu seinen Ehren mit öffentlicher Speisung des Volkes. Wer aber ist der Auftraggeber, der sich als O
DEMOS vorstellt? Plutarch erwähnt in seiner Biographie des Lucullus eine Gruppe attischer Bürger, die vor der Tyrannis des Aristion nach
Amisos am Schwarzen Meer geflohen waren. Amisos, ursprünglich von Milet aus begründet, war unter Perikles erneut von Athenern besiedelt
worden. Jetzt lag Amisos im Herrschaftsbereich von König Mithridates VI. Das hat zu Zweifeln am von Plutarch formulierten Fluchtmotiv
geführt: Waren sie vor Aristion (wie Plutarch berichtet) oder vor Sullas Belagerung geflüchtet, wie z. B. Margaret Thompson vermutet? Die
Antwort ist nicht entscheidend für den Aussagewert der Tetradrachmen mit O DEMOS. Sie sind Zeichen einer Krise, die Athen von einem
Global Player am Mittelmeer in ein Ziel für Bildungsreisende für die nächsten zwei Jahrtausende verwandelte.
38